REGIOtalk zum Niedersächsischen Weg

Sicherheit in Krisen braucht regionale Nahversorgung – und die muss ausgebaut werden!

Impulse des Bundestreffen der Regionalbewegung in Schneverdingen

„Der Regionalgedanke ist die Sicherheitsarchitektur der Globalisierung – Nahversorgungsregionen sind die Elemente dieser Sicherheitsarchitektur“ – unter diesem Leitsatz des Bundestreffens der Regionalbewegung wurden wertvolle Einblicke in die Praxis möglich, so Exkursionen z.B. zum Bio-Großhändler Naturkost Nord und zur Höpen Schäferei, um die Wertschöpfungskette rund um Wolle & Schaf näher zu beleuchten. Ein REGIOpitch und Wissensmarkt gaben Einblicke in innovative Projekte von der „digitalen Küchenkraft“, „samenfestes Gemüse“ regionaler Kichererbsen Anbau bis zum 24/7 Tante Emma Laden in kleineren Orten. Der immer teurer werdende Zugang zu Land wie die Herausforderung einer gesunden Ernährung in der Gemeinschaftsverpflegung wurden ebenfalls intensiv diskutiert.

Der „Niedersächsische Weg“ im Fokus (REGIOtalk)

Im REGIOtalk wurde der Niedersächsische Weg mit Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte und Vertreter*innen des Niedersächsischen Landvolks, des Verbands der Norddeutschen Direktvermarkter, des NABU Niedersachsen sowie des Kompetenznetzwerks Ökolandbau Niedersachsen näher beleuchtet, moderiert von Holger Belz, Regionalbewegung Niedersachsen, und Peter Wogenstein, Ernährungsrat Niedersachsen.

Schnell einig war sich die Runde über die Bedeutung des Niedersächsischen Wegs. „Es ist der Raum für Austausch, Verständnis der verschiedenen Positionen und die Suche nach Gemeinsamkeiten“, so Ministerin Staudte, auch mit Hinweis auf bereits angestoßene Regelungen und umgesetzte Projekte zum Schutz von Wäldern und Gewässern. Deutlich wurde auch: der Niedersächsische Weg ist der Beginn eines Prozesses, der konsequent und transparent weitergeführt werden muss, auch um viele „bürokratische“ Hürden zu beseitigen.

Was regionale Strukturen wirklich brauchen (Fish Bowl-Diskussion)

Der Erhalt regionaler Strukturen wurde mit Vertreter*innen aus Politik, Handel und Verbänden in Form einer Fish Bowl lebendig vertieft. Alle Teilnehmenden wurden aktiv an der Diskussion beteiligt. Deutlich wurde u.a., dass die wahren Preise der meisten, nicht nachhaltig produzierter Produkte für Verbraucher nicht abgebildet werden. Hier sind insbesondere Handel und Politik gefragt, um verbindliche Rahmenbedingungen für nachhaltige Strukturen zu schaffen und regionale Wertschöpfungsketten zu stärken.

Hindernisse für Projekte

Immer wieder wurden besonders die hohe Kompetenz und die breite Expertise der oft ehrenamtlich Tätigen in Projekten hervorgehoben. „Viele dieser Menschen leiden an ‚Projektitis‘,“, so Hilke Feddersen, Naturpark Lüneburger Heide. Es fehle an Planbarkeit durch begrenzte Projektlaufzeiten, hinzu komme überbordende Antrags- und Dokumentationspflicht.

Umweltmister Christian Meyer brachte es am Beispiel der Wolfgefahr für Schäfer mit ihren Herden auf den Punkt: „Die Problemlösung muss in der Hand dessen bleiben, der Experte für die Lösung ist.“ Politik und Verwaltung müssen einfach und unbürokratisch helfen.

Handlungsempfehlungen

Wenn Politik die Stärkung und der Erhalt regionaler Versorgungsstrukturen wichtig ist, muss sie mit daran arbeiten, dass

  • regionaler Wertschöpfungszentren aufgebaut werden,
  • bestehende regionale Verarbeitungsbetriebe erhalten bleiben und damit
  • die notwendigen Rahmenbedingungen hin zu einer nachhaltigen und regionalen Grundversorgung geschaffen werden,
  • eine ressortübergreifende Zusammenarbeit zwischen Agrar-, Umwelt-, Bildungs-, Wirtschafts- und Sozialministerium ermöglicht wird, denn Ernährung, Ernährungssicherheit und Nachhaltigkeit sind Querschnittsthemen,
  • die Beantragung und Abwicklung von Fördermitteln einfach gestaltet werden.

Ein starkes Signal für regionale Resilienz

Das Bundestreffen war geprägt von Offenheit und gegenseitigem Interesse. Die breite Vernetzung und die vielfältigen inhaltlichen Impulse zeigen: Regionale Strukturen sind kein Nischenthema, sondern ein zentraler Bestandteil zukunftsfähiger Versorgung und gesellschaftlicher Resilienz. „Wir in der Stadt brauchen die Regionen in der Zukunft umso mehr: sie sichern unsere Grundversorgung und haben dies in der Coronazeit bereits bewiesen“, so Peter Wogenstein, Sprecher des Ernährungsrats Niedersachsen. „Um resilient zu werden, brauchen wir Städter mehr landwirtschaftliche Produkte vor unserer „Haustür“, in der Region.“ Was möglich ist, zeigen Studien zur regionalen Versorgung in Leipzig, Hamburg und München.

Foto: REGIOtalk „Niedersächsischer Weg“ mit Holger Belz (Landesverband Regionalbewegung Niedersachsen – Moderation), Miriam Staudte (Niedersächsische Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft), Carolin Grieshop (Kompetenznetzwerk Ökolandbau Niedersachsen), Eberhard Prunzel-Ulrich (Vereinigung Norddeutscher Direktvermarkter), Dr. Holger Buschmann (NABU Niedersachsen), Hubertus Berges (Landvolk Niedersachsen Landesbauernverband), Peter Wogenstein (Sprecher des Ernährungsrats Niedersachsen – Moderation) von links nach rechts
Quelle: S. Heidenreich, Ernährungsrat Niedersachsen

Gesunde Ernährung: Kinder bleiben im Regen stehen

Gesunde Ernährung für unsere Kinder spielt im Koalitionsvertrag keine Rolle – Ein Kommentar von Peter Wogenstein

Gesunde Ernährung ist im vorliegenden Koalitionsvertrag kein Thema. Hatte die CDU / CSU sich schon vor der Bundestagswahl gegen Maßnahmen für eine gesündere Ernährungsumgebung ausgesprochen, so ist vom Engagement der SPD für die Empfehlungen des Bürgerrats „Ernährung im Wandel“ wenig zu spüren. Wir erinnern uns: die Abgeordneten des Bundestages hatten 2023 den Bürgerrat einberufen und beauftragt, Empfehlungen für die Abgeordneten zu erarbeiten. Diese Empfehlungen liegen sehr ausführlich begründet seit Februar 2024 vor. Nichts davon findet sich im Koalitionsvertrag. Schlimmer noch: Dem Prozess der Bürgerbeteiligung wird eine Absage erteilt, Engagement aus der Zivilgesellschaft erhält eine Abfuhr.

Im Koalitionsvertrag findet sich nichts von dem, was nachweislich unseren Kindern hilft:

  • kein beitragsfreies, gesundes Mittagessen für alle Kinder in Kitas und Schulen
  • keine Werbebeschränkung von ungesunden Produkten für Kinder
  • keine Steuer auf Zucker und zuckerhaltige Getränke
  • keine verpflichtende, für die Verbrauer:innen leicht zu verstehende Kennzeichnung auf hoch verarbeiteten Produkten der Lebensmittelindustrie

Die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen findet in der neuen Regierung keinen Anwalt.

Damit werden auch vorliegende Studien der Wissenschaft weiter ignoriert. So u.a. das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeslandwirtschaftsministerium aus dem Jahr 2020 und die vielen wissenschaftlichen Studien zu den Auswirkungen ungesunder Ernährung. Dass die gesundheitlichen Folgen ungesunder Ernährung auf ca. 60 Mrd. pro Jahr geschätzt werden – so Gesundheitsverbände -, scheint in der neuen Koalition immer noch nicht angekommen zu sein.

„Wir fördern verstärkt Bewegung und gesunde Ernährung, insbesondere von Kindern und Jugendlichen“, lesen wir im Koalitionsvertrag, aber nichts Konkretes. Eigentlich bleibt es wie bisher: die Verantwortung für Ernährung wird den Konsument:innen, Jung und Alt zugeschoben. Statt an Produkten und Werbung etwas zu verändern, notwenige Rahmenbedingungen für eine gesunde Ernährung zu setzen, trifft jegliche „Schuld“, jegliche Auswirkung ungesunder Ernährung die „mündigen“ Konsument:innen.

Warum ist das so?

Der Widerstand gegenüber einer Veränderung in unserem Ernährungssystem ist groß. Wir wissen das eigentlich. Aber es ist notwendig, sich die Hintergründe nochmals bewusst zu machen.

In einer aktuellen Studie aus Großbritannien wurden alle ehemaligen politischen Entscheider, Prime Minister und Minister persönlich befragt, warum sie trotz ihres Wissens über die negativen Auswirkungen ungesunder Ernährung nichts oder nur wenig aktiv getan haben. Dabei legten sie die in ihren Augen vier wichtigsten Gründe offen, warum Politik für gesunde Ernährung scheitert:

1. Versuche der politischen Entscheider, Einfluss auf das Ernährungsverhalten in der Gesellschaft zu nehmen, werden in der öffentlichen Diskussion vehement als „Bevormundung“ abgetan. Man empört sich über den Eingriff in die „persönliche Entscheidungsfreiheit“.

2. Die Entscheider sind sich der negativen Auswirkungen hochverarbeiteter Lebensmittel bewusst. Zucker macht süchtig. „Wollen wir uns zu Tode essen?“, fragt jüngst selbst die eher konservative FAZ am Sonntag. Aber die massive Lobbyarbeit der Lebensmittelindustrie und die Furcht vor negativen Auswirkungen in der Wirtschaft hindert Entscheider daran, Einsichten und Wissen in Gesetzen und Verordnungen umzusetzen.

3. Das Thema Ernährung und Einsicht in den Zusammenhang von hochverarbeiteten Lebensmitteln und Erkrankungen hat es noch nie in die Liste der Top Themen der Politik geschafft.

4. Da Ernährung und das Ernährungssystem eine komplexe, vielschichtige und weitläufige Angelegenheit ist, wird jeder Gestaltungsversuch zu einem politischen Such- und Verwirrspiel (die Briten nennen es: „Whack-the-Mole“- Triff den Maulwurf). Die Verantwortung für gesunde Ernährung ist über zahlreiche Ministerien verstreut. Eine übergreifende Zusammenarbeit gelingt nicht oder nur schwer.

Verwundert sind wir also nicht über den Inhalt des Koalitionsvertrags zur Frage, wie konkret besonders Kinder und Jugendliche gesund ernährt werden können, auch nichts zum Abbau von Ernährungsarmut. Aber alle, die wissenschaftliche Erkenntnisse und Empfehlungen des Bürgerrats ernst nehmen, sind verärgert.

Fazit: Die Lebensmittelindustrie hat weiterhin ihren Fuß in der Tür. Und das verheißt nichts Gutes. Protest ist dringend notwendig. Diese Koalition wird von allein keine Wende unseres Ernährungssystems bringen.

Gemüsesuppe

„Gemeinsam für gutes Essen sorgen“ – Artikel von Peter Wogenstein in Ökologie & Landbau

Peter Wogenstein, Sprecher des Netzwerks Ernäh­rungsräte Niedersachsens e. V., beschreibt in seinem Artikel „Gemeinsam für gutes Essen sorgen“, was die Menschen antreibt, die sich in zahlreichen Städten und Regionen in Ernährungsräten für ein nachhaltiges Ernährungsystem engagieren, was sie erreichen wollen und wie weit sie schon gekommen sind. Der Artikel wurde in der Ausgabe 2/2025 „Ökologie & Landbau“ veröffentlicht.

Ernährungsräte Niedersachsen zu Besuch im Landwirtschaftsministerium

Die neue Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte hat ein offenes Ohr für die Sorgen der Ernährungsräte in Niedersachsen

Hannover, der 16. Januar 2023

Seit gut 3 Jahren sorgt der Ernährungsrat Niedersachsen für den Austausch der Ernährungsräte und Ernährungsinitiativen im Land untereinander, berät und begleitet junge Ernährungsräte und Initiativen vor Ort, stellt Materialien zur Verfügung, organisiert Treffen und Weiterbildung, vernetzt Aktivitäten, moderiert Veranstaltungen, macht die notwendigen Büro- und Verwaltungsarbeiten, unterstützt bei der Formulierung von Projektanträgen. All dies und mehr geschieht in der Regel ehrenamtlich.

Für diese Sorgen und Hürden für die Arbeit der Ernährungsräte im Flächenland Niedersachen, so die Förderrichtlinien des Landes für Ernährungsprojekte, hat Miriam Staudte in einem ersten Kennenlern-Gespräch ein offenes Ohr. Einig sind sich alle am Tisch Versammelten: die meist ehrenamtliche Tätigkeit der Ernährungsräte vor Ort ist wichtig und braucht Unterstützung.  Geht es doch konkret z.B. um gesunde Kita- und Schulverpflegung („Klarer Kopf sucht gute Nahrung“) statt „Nur billig essen“. So fordert der Koalitionsvertrag „Schulmensen zu Lernorten“ zu machen. Ernährungsräte würden sich gerne dafür engagieren, aber ehrenamtliche Arbeit hat Grenzen.

Katrin Hille, ER Göttingen, Staatssekretär Dr. Michael Marahrens, Peter Wogenstein, Sprecher ER Niedersachsen, Judith Busch, ER Oldenburg, Ministerin Miriam Staudte, Daria Kistner, ER Hannover (von links nach rechts; Bild: Peter Wogenstein)

Gerade die Kantinen als Großverbraucher sind aus Sicht der Ernährungsräte ein wichtiger Hebel für eine drängende Ernährungswende. Ernährungsräte helfen dabei und vernetzen Akteure der Ernährungslandschaft aus der Region, so die Erzeuger, Verarbeiter, den Handel, die Konsumenten, Verwaltung und Wirtschaft. Sie stoßen damit eine Ernährungswende vor Ort an. Ernährungsräte kümmern sich weiterhin um Lebensmittelwertschätzung und Ernährungsbildung, wollen Lebensmittel aus der Region fördern, legen den Finger in die Wunde der fehlenden regionalen Verarbeitungsstrukturen und vieles mehr.

Ernährung ist ein gesellschaftspolitisches Querschnittsthema, auch das machen die Ernährungsräte im Gespräch mit der Ministerin deutlich. Das Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz kann eine Ernährungswende im Land Niedersachsen allein nicht stemmen. Mehrere gehören an einen Tisch, so die Ministerien für Umweltschutz (Klimafolgen), Gesundheit (ernährungsbedingte Erkrankungen und Folgekosten, z.B. bei Adipositas, Diabetes 2), Soziales (Teilhabe für alle, Armut), Schule (frühes praxisorientiertes und nachhaltiges Lernen und Verhalten), Justiz (rechtliche Rahmenbedingungen), Finanzen (Budget), um mit den Akteuren vom „Acker bis zum Teller“ eine Ernährungswende wirklich und nachhaltig voranzubringen.

Der Koalitionsvertrag 2022-2027 wie auch die Ernährungsstrategie Niedersachsen beschreiben die Notwendigkeit einer „Transformation“ des Ernährungssystems. An der Umsetzung wollen und werden sich die Ernährungsräte – mit den zurzeit begrenzten Möglichkeiten – landesweit beteiligen.